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Islamische Seelsorge ? – Ayasofya Zeitschrift – Die Zeitschrift für Wissenschaft, Integration und Religion

Islamische Seelsorge ?


„Die Welt ändert sich und wir mit ihr“, heißt es in einem gern zitierten Dichterwort. Die Muslime in den christlich-säkularen Mehrheitsgesellschaften erleben dies hautnah. Es zerbrechen Ehen, von denen man früher annahm, dass sie Jahre halten wurden. Und ältere Muslime, die keinen Kontakt zu ihren Familien aufrechterhalten konnten, leben allein und isoliert in Altersheimen oder sterben verlassen in Krankenhäusern, deren Arzte oder Krankenschwestern dann in der nächsten Moschee anrufen und um Beistand bitten. Sie tun dies, weil sie es aus ihrem christlichen Umfeld gewohnt sind, dass die Kirche in solchen Fällen da ist. Dies gilt auch für das Sterben an einem Unfallort oder einem in der Haft lebenden muslimischen Gefangenen.

Zahlreiche Muslime halfen, wenn sie angesprochen wurden. Sie taten es, ohne darüber nachzudenken, ob es hier eine islamische Grundlage im Kalam bzw. der Schari´a gab. Und der Imam ebenso wie der schlichte Gläubige fühlten sich dem ihnen fremden Muslim gegenüber immer wieder unwohl. In dieser Situation kamen Mitarbeiter der Diakonie, der Caritas und anderer Wohlfahrtsverbände den engagierten Muslimen zu Hilfe, indem sie aus ihren Erfahrungen berichteten bzw. Kurse zur Weiterbildung anboten; die sie seit Jahren auch für ihre eigenen Helfer organisieren.

Für die Muslime waren es neue und teilweise überraschende Herausforderungen, in denen sie lernen mussten, wie man hilft, denn die jeweiligen Situationen stellen verschiedene Anforderungen. Dies gilt nicht nur für die geistlichen Aspekte, sondern ebenso für die psychologischen bzw. psychischen Anforderungen. An den großen und alten Moscheen z. B. in Syrien oder Ägypten gibt es seit einigen Jahren Konfliktberatungen, jedoch leider keine Publikationen darüber. So fehlt im Studium der Imame das, was angehende Pfarrer im Fach Pastoralseelsorge erfahren. Dabei geht es nicht nur um Psychologisches, Rechtliches oder Fragen der Sozialarbeit, sondern ebenso um Supervision, d.h. um die Arbeitshilfen für die Helfer selber, denn helfen kann ausgesprochen belastend sein. Dies betrifft nicht nur die menschliche Seite, sondern auch die religiöse. Daher sollten sich ein Imam und ein Psychologe gemeinsam in der Leitung der (Balint-)Gruppe der Helfer teilen, um die Arbeit nicht in einen “wilden“ Idjtihad ausarten zu lassen.

Nun deuten die schon zuganglichen Berichte aus der Arbeit der islamischen Telefonseelsorge an, dass die dort aufgetretenen Probleme sich kaum von denen in der christlichen Seelsorge unterscheiden, so dass man erwarten kann, dass sich nach einer gewissen Zeit Standards entwickeln werden. Bis vor wenigen Wochen beschäftigte die Engagierten ein zusätzliches Problem. Es war die Frage des Geheimnisschutzes oder in christlicher Terminologie des Beichtgeheimnisses, für das mancher Priester in der Kirchengeschichte in den Tod ging. Der katholische Brückenheilige Nepomuk, dessen Figur noch heute manche Brücke schmückt, gemahnt daran. Diesen Schutz gibt es in der Schari´a nicht. Daher war es entlastend, als ein Oberlandesgericht im Falle eines yezidischen Geistlichen diesen gesetzlichen Schutz des Zeugnisverweigerungsrechtes auch auf ihn ausdehnte, so dass nun auch die muslimischen Imame im deutschen Rechtssystem geschützt sind. Dies ist für eine erfolgreiche seelsorgerische Arbeit notwendig, weil auf diese Weise der Kranke oder Gefangene sicher sein kann, dass das von ihm Anvertraute nicht weitergegeben wird.

Je erfolgreicher die muslimische Seelsorge in Wiesbaden, Berlin oder im Harz arbeitet, desto größer wird allerdings der Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs. Bisher lauft die Werbung für die muslimische Seelsorge nur über lokale Gruppen, denen andere in der Seelsorge erfahrene Kräfte der unterschiedlichsten Wohlfahrtsverbände zur Seite stehen, aber auch der Christlich-Islamischen Gesellschaften bzw. eines Mannheimer Institutes und andere.

Helfen ist die eine Seite, sich helfen lassen die andere; daher entwickelten Berliner Muslime in ihrem Programm zur Verhinderung von Suiziden junger Muslima den Slogan: „Beende Dein Schweigen, nicht Dein Leben.“ Das gleiche gilt übrigens auch für alleinerziehende muslimische Vater, deren Frauen sie aus welchen Gründen auch immer verlassen haben. Es ist unsinnig, wenn in den Teestuben in solchen Fällen “dem Westen“ oder “der deutschen Gesellschaft“ die Schuld gegeben wird. Das moderne Arbeitsleben hat den väterlichen Arbeitsplatz von der Familie getrennt. Die Konsequenz ist die hohe Abwesenheit des Ernährers, des Vaters oder der

Mutter von ihren Kindern, so dass sich zwangsläufig Spannungen ergeben. Daher muss den Männern bzw. jungen Frauen unabhängig von der so genannten Schulfrage geholfen werden, und sie müssen ermutigt werde, sich helfen zu lassen.

Dazu braucht die muslimische Seelsorge den Rechtsschutz des Zeugnisverweigerungsrechtes. Um die Muslime hieran zu gewöhnen, sollten die Imame am Freitag darüber sprechen, schließlich ist es haram, brüderliche Hilfe zu unterlassen.

Nun mag man die Nase darüber rumpfen, dass der für muslimisches Denken ungewohnte und zudem christliche Begriff der Seelsorge von den Muslimen benutzt wird, denn er entspricht überhaupt nicht den Traditionen. Im deutschen Kontext hat der Begriff jedoch einen hohen Wert, der sich in der Vergangenheit über Jahrhunderte entwickelte. Hinzu kommt, dass in den

letzten Jahrzehnten qualifizierte Forschungen der Kirchen wie der Hochschulen, die Arbeit der Helfer wesentlich gefordert haben. Mit der “islamischen Seelsorge“ integrieren sich die Muslime in das hiesige gesundheitliche Versorgungssystem auf eine leise und unauffällige Weise. Um den Erfolg dieser Arbeit langfristig zu sichern, bedarf es der organisatorischen wie finanziellen Absicherung. Hierüber sollten die Verbände miteinander sprechen, denn hier geht es nicht um politische Konkurrenz, sondern um Hilfe für den Gläubigen und das innere Wohlergehen der islamischen Gemeinschaft.

Wolf D. Ahmed Aries

Ayasofya Nr. 65

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