Interview mit Jürgen Todenhöfer
Herr Todenhöfer, in den letzten Jahren wurde in Deutschland das Thema „Integration“ heiß diskutiert. Woran liegt das?
Wir haben in Deutschland keine echte Integrationsdebatte, sondern eine fremdenfeindliche Anti-Islam-Kampagne, die sich scheinheilig Integrationsdebatte nennt. Da kann jeder mitreden, auch wenn er nichts vom Islam versteht. Angriffe auf den Islam kann ja niemand überprüfen, da kaum ein Deutscher den Koran gelesen hat. Gegen diese Anti-Islam-Debatte versuche ich mit meinem kleinen 63-seitigen Buch „Feindbild Islam“ zu kämpfen. Mehr als 63 Seiten braucht man dazu glücklicherweise nicht.
Was verstehen Sie unter Integration?
Integration bedeutet respektvolles, friedliches Nebeneinander und Miteinander von Menschen unterschiedlicher religiöser und kultureller Überzeugungen – mit unserer Verfassung als einigendem Band. Wir brauchen darüber hinaus keine nationalistische Leitkultur. Auch über die Forderung, sich vorrangig an den gemeinsamen jüdisch-christlichen Wurzeln unserer Zivilisation zu orientieren, kann ich nur staunen. Wir Christen haben die Juden über 1000 Jahre lang ausgeschlossen und diskriminiert. Das kann nun wirklich kein Vorbild sein. Wer unsere Mitbürger und unsere Verfassung achtet und sich an die Gesetze hält, ist integriert. Auch die deutsche Sprache sollte er sprechen.
Wie kam es zum Buch „Feindbild Islam. Zehn Thesen gegen den Hass“? Wollten Sie damit endlich ein Zeichen setzen? War es ein gesellschaftlicher Prozess, der zu diesem Buch führte
Man hört und liest über den Islam so viel Unsinn, dass es schon fast weh tut. Ich habe den Koran gerne und sorgfältig gelesen. Wie das alte und neue Testament. Außerdem bereise ich seit 50 Jahren die muslimische Welt. Sie ist ganz anders, als sie im Westen dargestellt wird. Nirgendwo habe ich mehr Nächstenliebe erfahren als in der muslimischen Welt. Daher wollte ich die wichtigsten Fakten unseres Verhältnisses zur muslimischen Welt in Erinnerung rufen. So wie nach dem 2. Weltkrieg die Aussöhnung mit den Juden selbstverständliche moralische Pflicht war, ist heute die Verständigung mit den Muslimen Pflicht jedes Weltbürgers, der die Menschenrechte ernst nimmt.
Von den Thesen, welche ist Ihnen da am wichtigsten?
Erstens, dass Muslime genauso viel wert sind wie Juden und Christen. Und zweitens, dass Verhandlungen besser sind als Kriege.
Schon in „Teile dein Glück“ und „Warum tötest du, Zaid?“ haben Sie sich als Friedensstifter bewiesen und für eine Aussöhnung mit der muslimischen Welt eingesetzt. Nehmen Sie wahr, dass Ihre Botschaft ankommt?
Ich habe es zumindest versucht. Aber ich wünsche mir dabei mehr Unterstützung von Seiten unserer muslimischen Mitbürger. Vor allem wenn ich für Toleranz und Gleichberechtigung in Deutschland und für faire Verhandlungslösungen in der muslimischen Welt eintrete. Die meisten Muslime schauen einfach nur interessiert zu, statt zu Hunderttausenden dieses kleine „Handbuch gegen Islamphobie“ für weniger als fünf Euro zu kaufen. Es beantwortet alle ihre Fragen und liefert ihnen in ihrer täglichen Auseinandersetzung alle erforderlichen Argumente. Es ist spannender als mancher Krimi.
Wie könnten die deutschen Muslime Sie konkret unterstützen?
Wäre ich Muslim, würde ich mindestens drei Exemplare “Feindbild Islam“ kaufen. Eines für mich, eines für meinen besten Freund und eines für Politiker und Meinungsmacher, die mit ihrer Antiislamkampagne die Welt vergiften. Die deutschen Muslime müssen in der öffentlichen Diskussion Deutschlands dynamischer werden. Nicht aggressiv, aber humorvoll und sachkundig. Sie sind schließlich gleichberechtigte Mitbürger. Wenn ich zehn Thesen zum Verhältnis des Westens zum Judentum geschrieben hätte, wäre das Buch weltweit ausverkauft.
Das Buch könnte Sarrazin neutralisieren?
Wenn alle deutschen Muslime dieses Buch kaufen würden, wäre es auf allen Bestsellerlisten und Deutschland müsste über die zehn Thesen diskutieren. Das würde der Anti-Islam-Debatte völlig den Wind aus den Segeln nehmen. Wir müssen den Diffamierungen von Sarrazin und Wilders etwas Konstruktives entgegensetzen. Sarrazin und Wilders kann man durch Fakten leicht widerlegen. Diese Fakten finden sie in „Feindbild Islam“.
Sie spenden Ihr Autorenhonorar?
Ja, wie immer. Diesmal für ein afghanisches Waisenhaus. Für Kinder, die in Kunduz ihren Vater verloren haben. Durch den Befehl eines deutschen Offiziers.
Herr Todenhöfer, es sind viele Schreckenszenarien entwickelt worden. Wie sieht Ihr Deutschland im Jahre 2050 aus?
Deutschland hat eine großartige Verfassung. Ich hoffe, dass wir weiter daran arbeiten, ihre Forderungen auch in die Tat umzusetzen. Dann stellt 2050 niemand mehr infrage, dass auch die Würde von Muslimen unantastbar ist. Bis 2050 gibt es bestimmt einen deutsch-muslimischen Nobelpreisträger und muslimische Mitglieder der Bundesregierung. Aber keinen wird das dann noch wirklich interessieren. So wie es heute niemanden mehr interessiert, ob ein Minister katholisch, evangelisch, jüdisch oder atheistisch ist.
Vielen Dank für das Interview, Herr Todenhöfer
Das Interview führte Cemil Sahinöz.
Jürgen Todenhöfer ist Autor des Buches „Feindbild Islam“
Publiziert in der Ayasofya 39, 2012