Kinder, Kinder! Was soll bloß aus der Rente werden?
Eine satirische Betrachtung
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Das sagt nicht irgendein Zeitgenosse, das sagte einst Sokrates.
Gönnen wir es den Kindern? Was ist dem Menschen lieber als der Nachwuchs? Kinder, oder wie man mancherorts sagt, Blagen, sind unsere Zukunft. Da Kinder unsere Zukunft sind, dürfen wir die Kinder nicht vernachlässigen. Wir müssen die Kinder gut erziehen, damit aus ihnen gute Rentenkassenfüller werden. Apropos Rentenkassen füllen. Damit unser Rentensystem so funktioniert wie bisher, muss die Reproduktionsrate stimmen. D.h., jede Frau sollte durchschnittlich 2,3 Kinder zur Welt bringen, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten. In Deutschland beträgt die Reproduktionsrate aber nur 1,4 Kinder pro Frau. Wir sterben also langsam aber sicher aus. Damit es nicht so weit kommt, denken sich die Politiker Maßnahmen aus wie z.B. Kindergelderhöhung. Die besten Ideen kommen dann aber doch spontan vom Volk und von den Wissenschaftlern. Nach einem nächtlichen Stromausfall in Norddeutschland konnten Wissenschaftler neun Monate später signifikant höhere Geburtenraten beobachten. Warum also nicht ab und an den Strom abstellen? Oder folgende Idee. Wie wäre es, wenn man viele Karnevalstage im Jahr einführt? Viele Kinder in Deutschland werden bekanntlich am Ende eines Karnevalstages gezeugt. Wie wir sehen, ist die Demographie eines der wichtigsten Fragen unserer Gesellschaft. Es betrifft sowohl die Energiesicherheit, als auch die Feierlaune des Volkes. Darum beschäftigen sich auch so viele Wissenschaftler mit dem Thema Demographie.
Die Demographie, ja ja die Demographie. Neulich sprach ein Experte über das demographische Problem vor einem jungen Publikum und da sagte ein Schüler: „Ja die Demographie, die alten Griechen haben das Erfunden, die sind jetzt pleite und wir sterben daran aus ey!“ Sein Freund, der Che Guevara für eine T-Shirt Marke hält, nickte zustimmend.
Guter Ansatz für einen assoziativen Übergang zum Thema Bildung und Erziehung. Denn es reicht nicht, wenn die Reproduktionsrate stimmt, die Kinder müssen auch eine gute Bildung bekommen, damit sie der Gesellschaft nützen. Man muss die Kinder zu Hause und in der Schule gut erziehen, damit aus den Kleinen etwas wird. Fragt man heute die Kinder was sie mal später werden wollen, dann kommen Antworten wie, Torschützenkönig in der Bundesliga, Model, Popstar, Popstars-Jurymitglied, Klingeltontester und einer meinte er wolle Auswanderer werden; er hatte sich die Auswanderersendung im Fernsehen direkt im Anschluss an die Mittagstalkshow angesehen, in der gestresste Menschen Deutschland verlassen und irgendwo in der Karibik am Strand Chillen. Chillen, das ist ja eines der wichtigsten Hobbys der Kinder von heute. „Ey was machen wir heute?“ „Abchillen“ oder wie wir sagen würden, nutzlos dahin vegetieren. Aber chillen klingt positiver, so wie “negative Beschleunigung“, wenn man bremsen meint. Abchillen kannten wir früher nicht. Stress und Chillen waren für uns Fremdworte. Aber irgendwie kann man die Kinder ja auch verstehen.
Immer mehr Kinder werden ja heute von Erwachsenen unter Druck gesetzt, so dass die Kinder überfordert sind. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Erwartungen immens hoch geschraubt werden. Der Druck wird von den Eltern auf die Kinder weitergegeben. Man indoktriniert die Kinder bereits im Kindergartenalter mit dem Wettbewerbsgedanken. Die Kinder sehen sich ständig in Konkurrenz zu anderen. Dazu kommt, dass viele Eltern ihre eigenen Kinder für Genies halten. Kennt ihr das auch aus eurer Umgebung? Alle Kinder sind relativ dumm, die eigenen sind aber Intelligenzbestien. Vielleicht ist die Erwatung einiger Eltern deswegen so absurd, weil sie schon das ungeborene Kind mit Vivaldi und Mozart Musik beschallen lassen. Dafür besucht man sogar spezielle Kurse und zahlt viel Geld dafür. Wäre ja rausgeschmissenes Geld, wenn die Kinder dann keine Genies werden. Und wenn dann die Eltern noch zum Eheberater gehen, der vor der Umschulung zum Eheberater Schädlingsbekämpfer war… Obwohl, da gibt es immerhin einen Bezug zum vorausgehenden Beruf. Was für einen Vorwurf können wir dann den Kindern machen? Vernachlässigt und vor den Eratzbabysitter “Fernsehen“ gesetzt. Die Motorik leidet auch darunter. Da schießt einer seinem Bruder beim Tippkick den Ball ins Auge, weil er kein Gefühl für mechanische Vorgänge entwickelt hat. Es ist doch etwas anders, als wenn man die Kräfte eines Monsterkillers in einem Videospiel steuert. Die Kinder spielen viel zu viel Videospiele. Es soll Eltern geben, die ihren Kindern mit harten Sanktionen drohen. „Kevin-Justin, wenn du dat Pläystayschin nicht am Lärm runter machst, schicke isch disch zu dem anderen Kind, dem sein Bruda nach draußen zum Spielen, der kein Pläystayschin hat!“ Wenn das Kind die verbale Warnung ignoriert, schickt man dem Kind eine Warnung per SMS. Andere drohen mit dem Vater. „Warte, bis dein Vater zu Hause kommt, dann sach ich ihm das!“. Daraufhin das Kind: „Welcher?“ Ja, die Kinder haben keine richtigen Bezugspersonen oder Vorbilder in der Gesellschaft. Die Helden von heute sind Menschen, auf die man im Notfall verzichten könnte. Fußballer, Models, Klingeltontexter… eben die oben genannten Wunschberufe. Und wenn die Kinder dann älter und rebellischer werden, drohen sie im Gegenzug ihren Eltern auch, wie es eigentlich immer schon war. Doch heute drohen die Kinder nicht damit, etwa Drogen zu nehmen. Heute sagt man: „Ey Mudda, wenn du misch nischt an die Pläystayschin läßt, dann kon… kon… konvexiere isch zum Islam rüber!“
Was dem Kevin-Justin sein Playstation, ist der Marie-Johanna ihr Laufsteg für zu Hause. Zum üben. Apropos Marie-Johanna, die Namensgebung ist ja ein Thema für sich. Marie-Johanna, da steckt in der Namenskonstellation schon das Wort für das Zeug drin, was die kleine mal später kiffen wird.
Und kennt ihr auch diese sturen Kinder, die sich nichts sagen lassen? Ich habe mich immer gefragt, wer diese Kinder so erzieht und was später aus ihnen wird. Da stand mal Günni stundenlang am Straßenrand bis die Polizei auf ihn aufmerksam wurde und ihn fragte, warum er denn da so lange stünde. Er meinte, er würde auf den Bus warten. Polizist: „Aber hier ist doch gar keine Bushaltestelle!“ Er: „Egal, ich warte dennoch hier aus Prinzip!“ Was haben seine Eltern bloß falsch gemacht? Na gut, die gleichen Leute haben wir auch in der Politik und Wirtschaft in wichtigen Positionen sitzen. Insbesondere in den Vorständen von Banken sitzen solche sturen Ignoranten, die den Umgang mit der Realität nicht gelernt haben. Bei denen heißt es aber, in der Erziehung sei alles richtig gemacht worden, weil der Rubel rollt. Dann gibt es noch den Ökotyp, der seinem Sohn Lars-Noah das Leben behutsam beibringen möchte. Bei denen sterben die Kaninchen nie. Die Kaninchen gehen nur gaaanz lange in den Urlaub und gründen dort eine Familie und schicken eine Abschiedspostkarte. Noah-Lars und sein Freund Peer dürfen auch nicht ohne Aufsicht auf dem Spielplatz spielen. Die Eltern inspizieren erst einmal die Spielgeräte und holen Gutachten ein, um vorher festzustellen, ob der Baum, auf den die Kinder klettern wollen auch keinen Schmerz erleidet.
Den Kindern fehlen oft moralische Instanzen und die Wertevermittlung zu Hause. Also sind die Schulen gefordert. Schulen, das ist da, wo Kinder heutzutage sagen: „Ey isch geh Pause!“ und wo Lehrer zu den “Opfas“ zählen. Erinnert sich jemand von der älteren Generation an die ländervergleichenden Leistungstests in den 60er Jahren? Da hat Deutschland schlecht abgeschnitten. Besonders im Fach Mathematik waren wir absolute Nieten. Was hat man damals gemacht? Nichts, man hat nicht mehr an den Tests teilgenommen und gut war. Bis, ja bis jemand auf die Idee kam, an der PISA Studie mitzumachen. Da haben wir dann wieder im Fach Mathematik schlecht abgeschnitten. Wen wundert es? Die Schüler von damals sind ja die Lehrer von heute. Doch dieses mal war der Aufschrei groß. Da kam die Integrationsdebatte sehr gelegen und man konnte die Schuld den Migraten in die Schuhe schieben. Die Kinder mit Migrationshintergrund wurden schnell zu Sündenböcken gemacht. Manche dieser Kinder hatten nicht nur einen Migrationshintergrund, einige Mädchen hatten auch “Brüdas“ im Hintergrund. So konnte man die Themen vermischen. Ja unser Land wurde sogar im Hindukusch verteidigt. Den Politikern sind die wichtigen Themen wurscht, solange man die Schuld abwälzen kann. Andere haben die Sorgen und wir die Angst. Nicht im Hindukusch wird unsere Zukunft bestimmt, sondern in den Familien und Schulen hierzulande. Aber der Bezug zur weltumfassenden Panikmache wird ja immer wieder hergestellt. Wir wollten doch, -zumindest wird uns das gebetsmühlenartig immer wieder vorgejammert- dass unsere Kinder in den Schulen ganz im Sinne der kapitalistischen Ideologie für den internationalen Wettbewerb vorbereitet werden sollen. Auf den internationalen Märkten geht es schließlich knallhart zu. Also brauchen wir eine Ellenbogengesellschaft und die Kinder sollen in den Schulen gedrillt werden. Höher, weiter, besser… Besser, aber wie? In Deutschland geht es in erster Linie um den sozialen Status. Hier wird bereits nach der Grundschule selektiert. Die Elite braucht gar nicht so viele kluge Köpfe, um “wettebewerbsfähig“ zu bleiben. Die Elite selektiert und die Chancengleichheit bleibt oft auf der Strecke. Der soziale Status der Kinder ist nach wie vor der wichtigste Faktor für Bildung. Die Mehrheit wird ohnehin als Konsument und Wähler gebraucht und da ist es sogar nützlich, wenn die Aufklärung und Bildung in den Schulen zu kurz kommt. Elite und Pöbel wie seit eh und je. Bildlich dargestellt, weil oft Männer von Dummheit betroffen sind und Sportbeispiele von Männern gut verstanden werden hier ein sportliches Lehrbeispiel ohne Abseitsregel. Der Elite wird Dresurreiten beigebracht und der Pöbel lernt Biathlon und es entspricht dem deutschen Wesen. Dresurreiten für die Elite, weil man einem weniger intelligenten Wesen seinen Willen aufzwingt und Biathlon für den Pöbel, weil schießen und weglaufen eine Tradition in diesem Land hat und man dazu nicht allzu viel wissen muss. So oder so, anstatt wichtige Maßnahmen zu ergreifen, wird die Schuld wie so oft weitergegeben und dieses mal einmal mehr an eine Minderheit. Auch das hat Tradition in dieser Gesellschaft und wird vielleicht deswegen so hingenommen. Dabei brauchen wir z.B. viel mehr Pädagogen und Schulpsychologen an den Schulen. Die Pädagogen für die Kinder, die Psychologen für die überforderten Lehrer.
Und was passiert, wenn die momentanen Prügelknaben der Nation, die Migranten, als Sündenbock ausgedient haben? Man könnte ja versuchen die Schuld den Kindern in die Schuhe zu schieben. Die Kinder sollen schließlich akzeptieren, dass sie eine Erbschuld mit sich tragen, gell? Immerhin kosten die Kinder den Eltern unheimlich viel Geld. Die befürchteten Kosten und die damit in Verbindung gebrachte Furcht vor Armut sind ja eines der größten Hemmnisse dafür, Kinder zu zeugen. In dieser Schuldzuweisungstheorie können wir auch die Verschuldung von drei Generationen unterbringen. In der Manier eines Politikers präsentiere ich hier eine tolle Idee. Wenn man sich in der Geschichte umguckt, viele Hochkulturen mit gebildeten Bürgern sind doch zugrunde gegangen, trotz oder eben wegen der Bildung!? Die Azteken, Karthager, Atlantis oder die DDR… Was sagt uns das? So gesehen können wir ruhig ein bisschen dumm bleiben, oder? Nach dem Motto Unkraut vergeht nicht. Eine kleine Elite, die die Macht hält und viel Unkraut um sich herum. Diese Hochkulturen hatten übrigens eines gemeinsam: Menschenopfer. Bildung schlägt manchmal in Irrsinn um. Die Selbstmordrate zeigt, dass zu viel Intelligenz schädlich sein kann. Die meisten Selbstmörder haben einen überdurchschnittlichen IQ. Da lobe ich mir doch die Politiker, die uns vor der Gefahr bewahren, Suizid zu begehen. Und so dreht man sich von Generation zu Generation im Kreise. Pseudophilosophische Sprüche wie „Wer sich im Kreis dreht, der spart sich den Rückweg“ werden zur Weisheit erkoren. Die Kinder sollen tunlichst nicht mehr danach fragen, woher sie kommen, wohin sie gehen, und wenn, dann sollen sie sich auch fragen, welches Mobiltelefon dazu passt.
Und vielleicht kommt doch alles anders. Vielleicht brauchen wir nur einen kleinen Impuls, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen. Ein Denkanstoß für die Kinder wie vielleicht dieser hier: Als unser Lehrer der Klasse wieder einmal eine Frage stellte und sich wie immer die gleichen Schüler meldeten, sagte unser Lehrer daraufhin: „Oh nein, es melden sich schon wieder die gleichen Schüler. Ich will, dass sich auch mal Jemand meldet, der die Antwort nicht weiß!“
Cemil Y?ld?r?m
cemilyildirim@hotmail.com
Publiziert in der Ayasofya 42 2013