Das Mädchen mit dem Kopftuch
Und genau so nannten sie mich alle. Ich war für alle nur das
Mädchen mit dem Kopftuch. Die praktizierend Muslima usw.
Für mich war es schon Alltag geworden überall Getuschel zu
hören wenn ich an jemandem vorbeigegangen bin. Mit dem
Vorbeigehen war es nicht getan. Ich hatte ja noch dieses
“Tuch“ auf meinem Kopf. Oder wie viele es gerne nannten:
das “Ding“. Seitdem ich in der 5. Klasse bin, trage ich mein
Kopftuch. Aber eigentlich fi ng alles damit an….
…. An dem Tag an dem ich geboren wurde, starb meine
Oma. Sie starb genau in der Minute in der ich geboren wurde.
,,Allah (s.a.v) gab uns einen Engel, aber dafür nahm er uns
einen“, wie meine Mutter immer zu mir sagte. Ich wurde natür-
lich nach meiner Oma benannt, worauf ich sehr stolz
bin. Abends bevor ich schlafen gegangen
bin, erzählte meine Mama mir sehr oft,
wie meine Oma war.
Wie sie aussah, was sie gerne für Sachen tat, und was ihre
Angewohnheiten waren. Als meine Mutter mit mir schwan-
ger war, war meine Oma sehr oft bei uns. Sie kostete jede
Minute mit meiner Mutter und mir aus. Jedes Mal wenn sie
kam, war ich wohl sehr aufgeregt und würde mich nur im
Bauch drehen.
Eines Abends jedoch hat meine Mutter mir eine andere
Geschichte über meine verstorbene Oma erzählt. Meine
verstorbene Oma hat, als sie ihr 10. Lebensjahr angetreten
hat, angefangen jeden Tag das Kopftuch zu tragen. Meine
Oma erzählte meiner Mutter sehr oft, dass sie auch bald, so
Allah es will, die Tage sehen wird, an dem ihre erste Enkelin
das Kopftuch tragen wird. Und genau so habe ich mich mit
dem freien Willen entschieden das Kopftuch zu tragen.
Sehr oft befasste ich mich mit dem Koran und den Ahadith
(Aussprüchen) von unserem Propheten Muhammed (s.a.v).
Es gab sehr viele Ahadith, die mir gefi elen, jedoch ein
Koranvers kam mir jedes Mal in den Gedanken. „O Prophet!
Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den
Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Übergewänder reichlich
über sich ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass
sie (dann) erkannt und nicht belästigt werden. Und Allah ist
Allverzeihend, Barmherzig.“ (Koran, 33:59)
Mein Tag verging, wie jeder normale Schulalltag von einem
Jugendlichen. Nach der Schule stieg ich in die Bahn und
fuhr nach Hause. Natürlich wurde auch hier getuschelt. Oft
hörte ich so etwas wie
,,Das arme Mädchen.
Ohne dieses
Tuch würde sie so schön aussehen.“ Solche Kommentare
beachte ich schon gar nicht mehr. Jedes Mal, wenn ich so
etwas höre, denke ich an all die Ahadith, die ich mir Tag für
Tag durchlese und welche mir jedes Mal immer mehr Geduld
gaben. Zu meinem Geburtstag habe ich ein Buch über unse-
ren Propheten Muhammed bekommen. Eine Zeit lang, lag
es noch so in meinem Bücherschrank, doch heute war der
Tag, wo ich endlich mit dem Buch anfangen konnte. Gestern
beendete ich das Buch “Aussprüche von Maulana“. Ihr fragt
euch bestimmt, wer Maulana. Maualna nannte man auch den
Sultan al-Ulema. Er war einer der größten Gelehrten seiner
Zeit. Seine weisen Gedanken wurden damals schon sehr
wertgeschätzt. Die UNO erklärte vor einigen Jahren zu seinen
Ehren das “Jahr von Maulana“. Viele seiner Sprüche wurden
auch ins Deutsche übersetzt, welche meiner Meinung nach
nicht immer eins zu eins dieselbe Bedeutung haben wie im
Türkischen oder Arabischen, man jedoch den Sinn dahinter
versteht. Wie zum Beispiel bei drei meiner Lieblingssprüche.
1. Sei geduldig, wenn du im Dunkeln sitzt. Der
Sonnenaufgang kommt.
2. Zeige dich, wie du bist oder sei, wie du dich zeigst.
3. Bevor du sprichst, lasse deine Worte durch drei Tore
schreiten. Beim ersten Tor frage: ,,Sind sie wahr?“ Am zweiten
frage: ,,Sind sie notwendig?´“ Am dritten Tor frage: ,,Sind sie
freundlich?“
Dies sind drei meiner Lieblingssprüche von Maulana. Seit
ungefähr einer Stunde war ,,das Mädchen mit dem Kopftuch“
schon zuhause. Ich setzte mich direkt an meine Hausaufgaben
und bearbeitete die Deutschaufgaben als erstes. Als meine
ganzen Aufgaben erledigt waren, ging ich in die Dusche. Ja,
ich besitze Haare auf dem Kopf und ja beim Duschen ziehe
ich ,,das Tuch auf dem Kopf“ aus. Wie es mit Haare färben und
Haare schneiden aussieht? Auch das tue ich, wie jeder ande-
re Jugendliche in meinem Alter. ,,Aber wenn du deine Haare
färbst, dann sieht es doch niemand.“, bekam ich sehr oft zu
hören. Im Koran steht auch, dass wir all das was einen gewis-
sen Scharm hat, verdecken sollen. Nur der Ehepartner hat das
Recht, uns so zu sehen, wie kein anderer. Und das gilt nicht
nur für Frauen, sondern auch Männer bedecken sich außer
vor dem eigenen Ehepartner.
Am nächsten Morgen hat mich meine beste Freundin ange-
rufen und gefragt, ob wir zusammen zur Schule gehen sollen,
da wir in derselben Straße wohnen. Sie ist auch ein Muslim,
trägt jedoch kein Kopftuch. Sie wird öfters gefragt, ob sie
nicht an Allah glaube, weil sie kein Kopftuch trägt. Immer
und immer wieder muss sie jedem dieselbe Antwort geben:
,,Solange ich mich noch nicht bereit dazu fühle ein Kopftuch
zu tragen, steht es auch nicht in meinen Gedanken es zu
tun.“ Im Alltag kämpfen wir Muslime sehr oft und fast immer
mit den Vorurteilen gegen unsere Religion. Aber wenn wir
mal weiter denken, stellen wir uns eigentlich immer nur eine
Frage. Warum? Warum müssen wir als Muslime in einem
Land, wo Meinungsfreiheit herrscht, und die Freiheit seine
Religion so auszuleben soweit es das Grundgesetz erlaubt,
immer noch mit Vorurteilen leben? Tag für Tag bekomme ich
mit, wie viele Muslime, auf Grund ihrer Religion gedemütigt
oder gar beleidigt werden. In Antidiskriminierungsstellen
werden lauter solcher Taten auch statistisch erfasst. Aber
längst nicht alles, die Dunkelziff er ist hoch.
Die wichtigste Aufgabe gegenwärtig ist es daher, einen
Dialog der Religionen und Kulturen anzustreben. Einen
Dialog, der Vorurteile abbaut und das Kennenlernen fördert.
Nur so können wir den Kindern der Zukunft positive Werte
vermitteln.
Sinem Can
Ayasofya Nr. 58