Der Reichtum
der osmanischen Dynastie
REICH SEIN! Wann ist ein Mensch, ein Volk oder ein Staat
eigentlich reich? Nun, auf diese Frage fi ndet man sicherlich
die unterschiedlichsten Antworten: Für ein Kind ist derjeni-
ge Reich, der die meisten Spielzeuge und Süßigkeiten hat,
für den Jugendlichen ist es möglicherweise derjenige mit
den besten Autos und für die Älteren diejenigen, die Gesund
sind. Das Lexikon defi niert Reichtum als einen großen Besitz
(materielle Güter) bzw. Ansammlung von Vermögenswerten,
die Wohlhabenheit und Macht bedeuten. Wir gehen nun der
Frage nach, was eigentlich die osmanische Dynastie reich
macht? Widmen wir uns zunächst einmal einigen Fakten
über das osmanische Reich.
Das osmanische Reich war ein Vielvölkerstaat. Es wurde vom
türkmenischen Stammesführer, dem Sohn von Ertugrul
Gazi, Osman Gazi, gegründet, geboren 1258 (Sögüt) und
verstorben 1326 (Bursa). Die Residenzstädte der Osmanen
war zunächst das westanatolische Bursa und ab 1369 Edirne
in Rumelien sowie Istanbul ab 1453. Das Reich erstreckte
sich zeitweise über eine Fläche von über 6,3 Mio. km² (zum
Vergleich: Deutschland hat eine Fläche von etwa 360.000
km²). Dadurch waren die Osmanen im Besitz vieler Schätze
wie Wertgegenstände, religiöse Orte, geschichtlicher
Bauwerken und vieles mehr. Die Vorfahren der heutigen
Türken haben ihren Nachkommen unvorstellbare Schätze
und Reichtümer überlassen. Hierzu zählt mit Sicherheit die
Ayasofya und Sultan Ahmed Moschee in Istanbul, die prunk-
vollen Paläste, die Stadt Troja sowie viele weitere, heute unter
Denkmalschutz stehende Orte. Diese sind ohne Zweifel
sehr wertvolle Besitze aus der osmanischen Dynastie, doch
machen diese die osmanische Dynastie reich?
Schauen wir uns an dieser Stelle einige Verse aus dem Koran
an: „Der Besitz und Nachkommen sind der Schmuck
des diesseitigen Lebens. Das Bleibende aber, die recht-
schaff enen Werke, sie sind bei deinem Herrn besser
hinsichtlich der Belohnung und besser hinsichtlich der
Hoff nung.“ (Sure Al-Kahf (Die Höhle) 18, Vers 46). „Und es ist
weder euer Gut, noch sind es eure Kinder, die euch Uns
nahe bringen werden; die aber, die glauben und gute
Werke tun, sie sollen den zweifachen Lohn für das, was
sie getan haben, erhalten.“ (Sure Saba (Die Sabäer) 34, Vers
37).
Allah gebietet Gerechtigkeit und uneigennütziges Gutes zu
tun. Reich ist demnach nicht derjenige, der Geld, unzählige
Schätze, Macht oder Land besitzt. Zu wahrem Reichtum
kann man nur durch gerechtes Handel und Tugendhaftigkeit
gelangen. Denn keine Seele wird mehr als seine guten und
schlechten Taten zum Jenseits mitnehmen. Ich möchte den
Leserinnen und Lesern in diesem Artikel einige Beispiele
anführen, um meine Gedanken ein wenig besser verständlich
zu machen, was mit der Überschrift dieses Artikels gemeint
ist.
Als Sultan Murat I. (1326-1389) von einer Reise wieder in die
Heimat, genauer gesagt Bursa, zurückreiste bemerkte man
in der Buchhaltung, dass ein Gegenstand in den Schätzen
seiner Reise fehlte. Nach einer Untersuchung seitens der
Buchhaltung wurde festgestellt, dass ein Bediensteter eine
goldene Schale gestohlen hatte. Als der Sultan dies erfuhr,
rief er alle Bediensteten zu sich. „Habt ihr die goldene
Schale noch immer nicht gefunden?“, fragte der Sultan.
Der Beamte, welche für alle Güter zuständig war, war ebenfalls
vor Ort und war sich aller Geschehnisse bewusst. Dieser
antwortete dem Sultan: „Mach dir keine Sorgen, mein
Sultan, die Tasse wurde von einem unserer Bediensteten
gefunden und er hat zur Ihrer Unterhaltung diese unter
seiner Kopfbedeckung versteckt.“ Der Bedienstete, der
eigentlich andere Absichten als
die Unterhaltung des Sultans
hatte, übergab die Schale voller
Furcht dem Beamten für Güter. Der
Sultan wollte den Bediensteten
nicht weiter unter Druck setzen
und schloss den Fall mit folgender
Aussage ab: „Du musst gewusst
haben, dass ein Gut, das dem
Volk zusteht, niemals das
Eigentum einer einzigen Person
werden kann. Daher musst du
den Gegenstand auf diese Weise
versteckt haben, nachdem du es
gefunden hast. Jedoch solltest
du beim nächsten mal das Gut
gleich der zuständigen Stelle
übergeben.“
Im Jahre 1516 ging Yavuz Sultan Selim Han (1470-1520) auf
eine Reise. Hierbei machten sie Rast in Gebze, einem Ort
reich an Gärten und Früchten. Der Sultan befahl, die Taschen
aller Soldaten zu untersuchen. „Bringt mir diejenigen der
Soldaten, in deren Gepäck Früchte ersichtet wurden.“
Nachdem alle Soldaten durchsucht und keinerlei Obst oder
Früchte gefunden wurden, erhielt der Sultan Bericht dieser
Lage: „Mein Sultan, wir haben alle Soldaten untersucht
und nichts gefunden. Darüber hinaus gab es keinerlei
Anzeichen von Diebstahl in den Gärten.“ Der Sultan
nahm tief Luft, entspannte sich und öffnete seine Hände
gen Himmel: „Mein Herr, unendlich Lob und Dank sei dir.
Du hast mich mit einer Armee ausgestattet, die nichts
unerlaubtes (haram) zu sich nimmt.“ Der Sultan ließ seine
Gefolgschaft wissen, dass er seine Reise abgebrochen hätte,
wenn eines seiner Soldaten unerlaubtes (haram) zu sich
genommen hätte. „Eine Armee, die unerlaubtes zu sich
nimmt, kann nicht erfolgreich sein!“
Der Sultan Fatih Sultan Mehmed Han (1432-1481) wollte zwei
große Marmor Säulen in einer Moschee errichten lassen.
Hierfür beauftragte er einen oströmischen Architekten. Trotz
des wiederholten Hinweises und Ermahnungen vom Sultan,
erbaute der Architekt die Säulen zu kurz. Als der Sultan eines
Tages die Moschee besichtigte, stellte er fest, dass die Säulen
augenscheinlich zu kurz waren. Wut entbrannt befahl er, den
Architekten zu bestrafen. Nachdem eine Weile vergangen
war, fühlte sich der Architekt zu Unrecht bestraft und verklagte
den Sultan beim Kadî (Richter, welcher nach islamischem
Recht urteilt) Hizir Celebi in Istanbul. Nachdem der Kadî das
Handeln des Sultans in der Sache gegenüber dem Architekten
als Koran-widrig einstufte, lud er beide Parteien zum
Vorsprechen ein. Der Sultan kam dezent und nicht prunkvoll
gekleidet vor Gericht. Als er sich an
seinen reservierten üblichen Platz
im Gericht hinsetzen wollte, sprach
der Kadî zu ihm: „Setzt dich nicht
hin, stell dich neben deinen
Kläger; an die Stelle, die für
Kläger und Angeklagte vorgesehen
ist.“ Nach dem Prozess fiel
das Urteil des Kadîs: Aufgrund des
unrechten Handelns des Sultans
sollte zur Strafe auch er bestraft
werden. Die Verwunderung und
Verblüffung über das Urteil war
in das Gesicht des römischen
Architekten geschrieben. Trotz
seines erleideten Schadens wollte
der Kläger nicht zulassen,
dass seinetwegen der mächtige
Sultan bestraft wird. Er beantragte
deshalb die Rückziehung der Anzeige im Gegenzug einer
finanziellen Wiedergutmachung für seine Verletzung. Der
Kadî änderte daraufhin sein Urteil. Somit musste der Sultan
als Entschädigung täglich zehn Goldstücke an den Kläger
auszahlen. Aufgrund des Zurückziehens der Anklage erhöhte
der Sultan freiwillig seine zu zahlende Entschädigung
auf 20 Goldstücke täglich und schenkte dem Kläger zusätzlich
ein Haus. Nachdem alle Formalia des Prozesses erledigt
waren, holte der Sultan eine Keule unter seiner Kleidung
zum Vorschein und zeigte diese dem Kadî: „Wenn du nicht
nach der Ordnung Allahs geurteilt, sondern mir Vorzüge
aufgrund meines Amtes als Sultan gegeben hättest, so
hätte ich dich hiermit belehrt.“ Daraufhin zeigte der Kadî
seinen Dolch und erwiderte: „Und wenn du, mein Sultan,
mein Urteil aufgrund deiner Stellung nicht akzeptiert
hättest, so hatte ich das gleiche vor!“
Durch diese Anekdoten soll verdeutlicht werden, dass Recht
und Ordnung niemals übertreten werden durften. Wie sonst
wäre es möglich gewesen ein Reich, welches sich über drei
Kontinente und 7 Klimazonen erstreckte über 600 Jahre
aufrecht zu erhalten? Einzig und Allein zählt das Recht und
die Gerechtigkeit! Das oberste Ziel dieser Menschen war es,
für Allah und den Propheten, den Menschen zu dienen und
dabei gerecht zu handeln. Denn nur wer gerecht handelt und
die Regeln des Schöpfers einhält, kann zu wahrem Reichtum
gelangen: der Zufriedenheit des Allmächtigen.
MUHABBET SEVGIYE YARAR…
Ayasofya Nr. 58
Quellen:
– Ibn Ahmad ibn Rassoul, Abu-r-Rida´Muhammad (2008):
Tafsir Al-Qur´an Al-Karim. Erläuterung des Al-Qur´an Al-Karim
in deutscher Sprache. Ulm: CPI-Ebner & Spiegel.
– Şahinöz, Cemil. (2015): Islamisches Wörterbuch. Bochum:
ASTEC Verlag.
– Yağmur, Sinan. (2011): Tarihimi çok seviyorum. Istanbul:
Bahar Yayınevi. EINSCHULUNG
oder was Kinder stark macht!