Die sieben Eigenschaften der Gläubigen
Das 23. Kapitel des Koran ist nach den Gläubigen benannt und trägt den Namen Al-Mu`minun. In diesem Kapitel „Die Gläubigen“ kommt die Systematik des Koran sehr schön zum Ausdruck. Das Kapitel beginnt mit dem Vers: „Den Gläubigen wird es wohl ergehen.“ Gleich darauf folgen die Verse, in denen Allah erklärt, wer mit den Gläubigen gemeint ist. Es handelt sich hierbei nicht um eine (Legal-)Definition, sondern um eine Aufzählung von Charaktereigenschaften. Insgesamt werden in den Folgeversen (2.- 9.Vers) sieben Merkmale der Gläubigen hintereinander aufgezählt. Aus dieser Erläuterung ist zu entnehmen, dass ein Mensch nur dann als Gläubiger einzustufen ist, wenn er diese Eigenschaften in sich trägt. Die Aufreihung erfolgt mit Nebensätzen, die immer mit dem arabischen Relativpronomen „Ellesine“ beginnen. Ebenso sei auch angemerkt, dass diese Eigenschaften weder enumerativ (aufzählend), noch kumulativ (anhäufend) aufgelistet sind. Vielmehr sind diese sieben Kennzeichen einige von anderen, ebenfalls in Betracht kommenden Eigenschaften der Gläubigen.
Im Folgenden soll erläutert werden, um welche Eigenschaften der Gläubigen es sich in diesem Kapitel handelt. Es stellt sich die Frage, welchen Charakter und welche Merkmale gläubiger Muslim zu haben hat? Die Anfangsverse dieses Kapitels geben uns dabei eine Stütze und eine Orientierung.
Eingangs sind es diejenigen, die ihr Gebet in Demut verrichten, bzw. im Gebet demütig sind. In diesem Vers wird das „Wort“ Gebet in der Singularform verwendet (salat). Das Wort Demut wird im Deutschen als „in der Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit“ definiert. Sie hat also keineswegs eine negative Beschaffenheit. Im Gegenteil. Es ist eine Art Hingabe und Unterwürfigkeit. Der Gläubige nimmt die Gegebenheit, dass Allah die Allmacht und der Schöpfer ist hin und ergibt sich mit dieser Einsicht seinem Willen. Diese Ergebenheit zeigt er insbesondere in seinem fünfmaligen täglichen Gebet.
Die zweite Gruppe von Gläubigen sind diejenigen, die sich von unbedachter Rede abwenden bzw. sich von dem nutzlosen Gerede distanzieren. Das arabische Wort für unbedachte Rede/ nutzloses Gerede ist „lagvun“. Es erscheint sehr interessant, dass Allah gerade so eine Charaktereigenschaft mit dem Glauben (iman) in Verbindung bringt. Die Assoziation Glaube und Abwendung von unbedachter Rede/ nutzloses Gerede gibt dem Menschen einen gewissen Denkanstoß. Denn unbedachte Rede kann manchmal schwere Folgen mit sich tragen. Eine unbedachte Rede kann sehr häufig zu Missverständnissen, sogar zur Verleumdung führen. Unbedachtheit hat etwas mit Unbewusstsein zu tun. Ein Mu`min muss aber stets mit Bewusstsein handeln. Er trägt Verantwortung für alle seine Taten. Somit auch für seine Worte, die er bewusst tätigen muss. Ebenso stellt das nutzlose Gerede eine Art Zeitverschwendung dar und ist auch als „Israf“ einzustufen. Somit tragen Menschen, die sich von unbedachter und nutzloser Rede bewusst distanzieren und diese vermeiden, eine Gläubigereigenschaft.
Die dritte Gruppe, bzw. die dritte Eigenschaft der Gläubigen ist die Zahlung der Abgabe. Gemeint ist damit die Zakat. Diese Eigenschaft bedarf keiner genaueren Erläuterung. Sie ist eines der fünf Grundpfeiler des Islam. Erwähnenswert an dieser Stelle ist nur, dass zwei von den insgesamt fünf Grundpfeilern in diesem Kapitel aufgeführt werden, nämlich die Zakat und das Gebet. Bemerkenswert ist, dass das Fasten in dieser Aufzählung keinen Platz hat.
Als nächstes erwähnt Allah diejenigen Menschen, die ihre Scham hüten, gleich mit dem Folgevers, in dem die zwei Ausnahmen erwähnt werden. Diese Charaktereigenschaft ist besonders wichtig und hat eine große Bedeutung. Insbesondere von jungen Menschen sollte dieser Vers nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Scham hüten und sich von Unzucht fernhalten. Genauer genommen, sich gar nicht erst an die Unzucht nähern.
Die fünfte Gruppe sind diejenigen, die auf die ihnen anvertrauten Güter (emanat) achtgeben. In dem gleichen Vers folgt die sechste Gruppe, nämlich diejenigen, die auf ihre Verpflichtung (ahd) achtgeben. Diese beiden Merkmale haben für unser Alltagsleben eine immense Bedeutung. Achtgeben auf die anvertrauten Güter, selbst wenn es nur ein fremder Stift oder ein fremdes Buch ist, ist es ein Gut, was einem anvertraut wurde und der Mu`min schon deshalb besonders achtsam mit dieser Sache umgehen muss. Der materielle Wert des Gutes ist unbedeutsam, da es um das Achtgeben an sich geht. Auch wenn Jahren vergehen, bleibt diese Sache ein anvertrautes Gut. Die Verpflichtung bzw. das Versprechen muss auch stets eingehalten werden. D.h. wenn man ein Versprechen abgibt oder eine Verpflichtung eingeht, muss man diese auch erfüllen. Das zeichnet einen gläubigen Menschen aus.
Die letzte Charaktereigenschaft ist das Einhalten der Gebete. Hier wird im Gegensatz zu dem Anfangsvers das Wort „Gebet“ in der Pluralform verwendet, also die Gebete. Denn das Einhalten der Gebete verlangt eine Dauerhaftigkeit und ist kein einmaliger Zustand. Das ist auch der Grund, warum Allah hier die Pluralform benutzt. Wohingegen in dem vorherigen Vers bezüglich des Gebets, die Demut, also ein Zustand angesprochen wird und deshalb auch „nur“ der Singular verwendet wird (salat – salavat). Hierbei kommt auch die Feinheit und die Präzision bezüglich der Wortwahl zum Ausdruck. Auffallend ist auch, dass zwei von den sieben Eigenschaften mit dem Gebet zusammenhängen. Beim ersten Mal ist es die Demut im Gebet. Beim zweiten Mal ist es das Einhalten des Gebetes. Eine weitere Schlussfolgerung aus diesen Versen ist auch, dass das Gebet das Essentiellste für den Glauben ist. Ein Glaube ohne das Gebet ist unvorstellbar. Das eine schließt folglich das andere aus. Der Glaube gibt sich gerade in dem Gebet zu erkennen.
Diese insgesamt sieben Eigenschaften werden von Allah systematisch in einer Reihenfolge dargestellt, wobei die Reihenfolge keine Auswirkung auf die Gewichtigkeit der Eigenschaften haben muss. Somit ist die erste Eigenschaft nicht unbedingt wichtiger und bedeutsamer als die letzte Eigenschaft anzusehen. Das lässt sich auch daraus entnehmen, dass Allah die Aufreihung mit dem Gebet beginnt und mit dem Gebet schließt.
Nachdem wir diese Wesensmerkmale der Gläubigen im Koran genauer kennengelernt haben, sollten wir uns bewusst die Frage stellen und uns ernsthafte Gedanken machen, welche von diesen sieben Eigenschaften wir selbst in uns tragen und mit welchen Eigenheiten wir uns bisher nicht anfreunden konnten. Dementsprechend können wir versuchen und uns bemühen, für die Zukunft unser Leben dementsprechend zu gestalten, zu ändern und auszufüllen. Im Ergebnis werden die Gläubigen von Allah als die Erben des ewigen Paradieses bezeichnet. Und das soll erst einmal verdient sein…
Selma Öztürk
oeztuerk.s@gmx.de
Publiziert in: Ayasofya, Nr.28, 2009