Was ist ein
oder wer ist Konvertit?
Als Nordafrikaner, Jugoslawen und schließlich Türken den
Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik ausglichen, da
lebten sie ihren heimatlichen Glauben so gut wie es ging in
den Formen wie sie ihn in der Heimat gelebt hatten. Zum
Imam wurde der ausgesucht, von dem man erwartete, dass
er den Text des Koranes wenigstens in Teilen beherrschte.
Zum freitäglichen Gebet versammelten sich die Gläubigen in
ihren Unterkünften, die die Firmen ihnen zugewiesen hatten.
Erst als diese durch die wachsende Zahl der Betenden nicht
mehr ausreichten, begannen einzelne nach Alternativen zu
suchen. So gingen sie auf diejenigen zu, von denen sie wie
auch immer gehört hatten, dass diese oder jene Deutschen
Muslime seien.
Im Rahmen des ersten Gespräches wurde nur gefragt: „Bist
Du Muslim?“ Mit der Bestätigung war die Angelegenheit
erledigt. Niemand fragte, seit wann oder wo man zum
Glauben gefunden hatte. Mit dem christlichen Wort bzw.
Begriff “Konvertit“ hätte keiner der Arbeiter oder der wenigen
Akademiker unter den Gastarbeitern etwas anzufangen
gewusst. Dies gilt selbst für die Lehrer unter ihnen. Und
die politisch engagierten Türken schimpften zwar über die
“deutschen Idioten“, aber sie benutzten nicht den Begriff
“Konvertit“, um die muslimischen Deutschen zu diskriminieren.
Dies geschah erst Jahrzehnte später, was auch für
die Diplomaten in den Konsulaten jener Jahre galt, die die
religiösen Aktivitäten ihrer Landsleute beobachteten und zu
behindern versuchten. Die einheimischen Muslime mussten
mehr als einmal darauf hinweisen, dass es eine grundsätzliche
Differenz zwischen dem türkischen Verständnis des Laizismus
und der grundgesetzlich gesicherten Religionsfreiheit gäbe.
Die deutschen Muslime waren so etwas wie der “Stachel im
Fleisch“ des Kemalismus.
In dem sich in den siebziger Jahren nach und nach anbahnenden
christlich-islamischen Dialog wurden Muslime
immer öfters gefragt, wann sie “konvertiert“ seien? Anfangs
konnte man weder mit der Frage noch mit dem Begriff etwas
anfangen. Zudem kennt die islamische Begriffssystematik
den christlichen Begriff nicht. Kein Gelehrter sprach im Zuge
der Ausbreitung des Islam in den ersten Jahrhunderten von
Konversion. Die Menschen bekannten sich im Rahmen der
dawa zum Glauben an den einen Gott, dem vom Propheten
Abraham angebeteten Einen. In diesem Gestus gab es keine
Möglichkeit eine “Konversion“ zu denken. Der Andere kehrte
nach dem Verständnis der muslimischen Eroberer zum
ursprünglichen Glauben zurück.
Der Gedanke, dass jemand “konvertieren“ könne, unterstellt,
es bestände die Möglichkeit zwischen mehreren Glauben,
d.h. Gottesformen, zu wählen, was zu tiefst dem Grundsatz
des tauhids wiederspricht. Muslime nennen diesen
Gedanken shirk. Es ist für sie die Sünde schlechthin. Wer
jedoch davon ausgeht, es bestände die Möglichkeit der Wahl,
der fragt folgerichtig, wann ein Individuum die Entscheidung
getroffen habe. War es, als der künftige Muslim die shahada
sprach oder mit dem Befolgen der Rechtsvorschriften
einer bestimmten Rechtsschule oder mit der Übernahme
der Verhaltensformen einer von ihm geschätzten Gruppe
von Gläubigen oder … Und wenn jemand zum Konvertiten
geworden ist, bleibt er oder sie dies sein Leben lang auch
wenn er inzwischen ein islamischer Gelehrter wurde?
Die hier angesprochene Diskussion führt zum europäischen
Diskurs der dreißiger Jahre, der sich in jeder Hinsicht
als irrig erwiesen hat. So stellt sich vielleicht zwangsläufig
die Frage, welche Wörter und Begriffe der europäischen
Geistesgeschichte auf die islamische Geistesgeschichte
übertragen werden können, ohne wesentliche Elemente des
islamischen Denkens und Glaubens zu europäisieren, d.h. zu
verfremden?
Nun mögen Sozialwissenschaftler sagen, das Wort “Konvertit“
bzw. “Konversion“ sei eine Metapher, um das Phänomen eines
Glaubens-“Wechsels“ sprachlich in den Griff bekommen zu
können. Doch vermag der so bezeichnete sich als Muslim
wiederzuerkennen? Oder ist er bereit seinen Glauben den
von ihm gelebten Islam als korrekt dargestellt zu sehen? Im
Gespräch mit jungen Studenten gewinnt man den Eindruck,
dass sie kognitive Dissonanz zwischen dem, was der deutsche
akademische Diskurs ihnen im Studium vermittelt, und
dem, was sie als Glauben leben schlicht verdrängen. Der
Nachbar in der freitäglichen Reihe ist Muslim …. und, na ja,
Deutscher, der lieber Kaffee trinkt als Tee.
Wolf D. Ahmed Aries
Ayasofya Nr. 59